Die Unterscheidung zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ist nur eine Täuschung, wenn auch eine hartnäckige. (Albert Einstein)
Was ist Zeit? Wir realisieren Zeit nur durch Bewegung und Veränderung eines Zustandes. Diese Veränderungen sind für uns irreversibel, z.B. springt eine zerbrochene Tasse nie wieder auf den Tisch, um ihren ursprünglichen Zustand anzunehmen. Die höhere Physik aber lehrt uns, dass eine Rückkehr in die Vergangenheit - bzw. zum vorangegangenen Zustand - möglich ist.
Seit Albert Einstein die Vorstellung Isaac Newtons einer ständig gleichbleibenden, absoluten Zeit widerlegt hat, gibt es eine Zeit, die in Beziehung zum Raum existiert, die dehnbar, "gleich-zeitig" und umkehrbar ist. Dieser Begriff von Zeit bringt uns aber an die Grenzen unseres Vorstellungsvermögens. Man muß über mathematische und physikalische Kenntnisse verfügen und sich auf die höchsten Ebenen der Physik begeben. Deshalb geht es in diesem Beitrag um das vom Menschen geschaffene, künstliche Konstrukt der Zeit, deren Messung und Geschichte. [Zitat Julius Fraser] "Es ist die Arbeitsweise unseres Gehirns, die uns Vergangenheit und Zukunft unterscheiden lässt. Wir müssen diesen Mustern folgen, damit die Welt für uns einen Sinn macht. Das bedeutet aber noch nicht, dass die Welt so ist, wie wir sie erfahren."
Exzesse der Zeit
Unsere künstlich geschaffene Zeit kennt keinen Anfang und kein Ende. Sie verläuft linear, immer im gleichen, eintönigen Rhythmus.
Die Uhren bewegen sich endlos im Takt und kennen keine Naturzyklen, kein Werden und Vergehen. Auch die Maschinen seit der Industrialisierung nehmen keine Rücksicht auf Tag und Nacht, Sommer und Winter. Natürliche Rhythmen verändern sich zu gleichförmigen Leistungsanforderungen. Zur Zeit der Industrialisierung führt das zu Rationalisierung, Fliessbandproduktion und unmenschlichen Arbeitsverhältnissen. Unternehmer und Gutsbesitzer verstellen die Uhren, um die Produktivität zu erhöhen. Eigene Uhren der Arbeiter werden zu einer Machtprobe.
Die Kämpfe münden in die Einteilung des menschlichen Tagesablaufes in Arbeitszeit und Freizeit - ein Begriff, der erst sehr spät entsteht. Lange verhandelte Ruhezeiten werden vereinbart, um den Menschen wieder Zeit für Aufbau und Regeneration zurückzugeben. Dennoch sind diese klaren Übereinkünfte heute schon wieder ein Auslaufmodell. Die flexible Zeiteinteilung wird sie wieder ablösen. Zeitmangel Max Weber beschreibt unser Arbeits- und Zeitverhalten mit dem Begriff der protestantischen Arbeitsethik: "...Danach steht der Mensch unter dem göttlichen Auftrag, ein zeitausnutzendes Mitglied der Gesellschaft zu sein. Diese Aufforderung gilt einerseits als eine Wurzel des Meliorismus, der Idee des Aufstiegs und Fortschritts, womit sich das Bewusstsein gerichteter Zeitabläufe vertieft und ist damit eine Voraussetzung für die Entstehung der Industrienationen... Auf der anderen Seite wird durch den Zwang der effektiven Zeitnutzung ein permanent schlechtes Zeitgewissen im Menschen erzeugt, da niemand sicher sein kann, alle Pflichten innerhalb eines bestimmten Zeitrahmens erledigt und dabei Zeit optimal genutzt zu haben...." (Brockhaus Band 24) "Ich habe keine Zeit" ist der heutige Standardsatz.
Exzesse der Zeit
Normalzeit - ein Konstrukt
Eine künstliche, für alle gleiche Normzeit wird geschaffen. Die wahre Sonnenzeit ist eine astronomische. Sie zeigt den Sonnenhöchststand um 12 Uhr mittags an, variiert aber wegen der elliptischen Form und Schiefe der Erdbahn. So ermittelt man mit Hilfe einer erdachten Sonne, die sich gleichmässig am Himmelsäquator bewegt, eine mittlere Sonnenzeit mit einer Differenz zwischen - 14,3 und + 16,4 Minuten. Die mittlere Sonnenzeit des Nullmeridians ist die mittlere Ortszeit von Greenwich. Darauf beziehen sich bis heute alle Zeitzonen. Öffentliche Uhren werden auf diese Normalzeit umgestellt, Sonnenuhren verschwinden langsam aus dem Stadtbild.
Über den Umweg der Quarzuhren gelangt man zur bisher genauesten Zeitmessung mittels Cäsium, den sogenannten Atomuhren. Cäsiumuhren sollen in 5 Millionen Jahren höchstens eine Sekunde falsch gehen. 1972 wird die koordinierte Weltzeit eingeführt, die aufgrund mehrerer Cäsiumuhren die genaue Zeit angibt.
In Wien richten sich 181 Stadtuhren nach Funksignalen einer Cäsiumuhr in Mainflingen/Frankfurt. Davon sind 80 die bekannten Würfeluhren.
Geschwindigkeit und Zeit
Auch Geschwindigkeit ist ein mit der Zeit eng verwobenes Phänomen. Wird sie doch erst messbar, wenn man eine zurückgelegte Strecke mit Zeit in Verbindung bringt.
Zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert verändert der Mensch kaum seine Geschwindigkeiten. Mit der Entdeckung der Dampfkraft und damit der Eisenbahnen ändert sich das Leben der Menschen nachhaltig. Ab 1830 existieren die ersten Eisenbahn- und Dampfschifflinien. Ihr Nutzen ist abhängig von einer einheitlichen Zeitauffassung.
In den USA soll es 71 verschiedene Eisenbahnzeiten gegeben haben. So kommen auch die ersten Bestrebungen zur Synchronisierung der Zeiten aus den Vereinigten Staaten, die schließlich 1884 während der Internationalen Meridiankonferenz zur Bestimmung des Nullmeridians in Greenwich führen.
Zeit ist Geld
"Remember that time is money" meint Benjamin Franklin schon im 18. Jahrhundert und umschreibt damit die Verbindung zweier Phänomene: "Die drei wichtigsten Funktionen des Geldes - dass es Werte misst, tauscht und speichert, lassen sich zu einer einzigen zusammenfassen: Es hält die Zeit fest." (Peter Gendolla) Geld erscheint seit der Entwicklung der Städte und des Handels als Mittel gegen die Vergänglichkeit: es ist eine Absicherung gegen Not, Krankheit und Katastrophen, erlaubt und verlangt langfristige Planung, was ohne die Vorstellung von Zukunft nicht möglich wäre. Geld rechnet Dauer in einen Betrag um. Der Zins ist hierfür das beste Beispiel. Mit der Veränderung im Wirtschaftsdenken erhält Franklins Aussage seine durchschlagende Bedeutung: Wirtschaftlichkeit bedeutet auch Minimierung des Zeitaufwandes. Während Güter immer preiswerter werden, wird Zeit knapper.
Zyklus und Nichts
Das Beobachten vom Werden und Vergehen in der Natur hat sich bei alten Kulturen auch auf ihre Einstellung zu Leben und Tod ausgewirkt. Dies manifestiert sich bei den alten Ägyptern in einem aufwendigen Totenkult. In China und Indien entwickelt sich die buddhistische Philosophie, in der sich das Leben als immer wiederkehrender Zyklus zeigt, der schließlich mit dem Eintreten ins Nirwana oder Tao - in das zeitlose Nichts - endet. Diese Erkenntnis des "Nichts" schafft auch die Voraussetzung für die Erfindung der Null. Auch wenn die Hochkultur der Mayas die Null schon kennt, kommt sie erst über die orientalischen Kulturen nach Europa. Vom kosmischen Zyklus zur linearen Zeit Unser heutiger Zeitbegriff hängt eng mit der jüdischen bzw. christlichen Heilslehre zusammen. Die Vorstellung der Juden von einem ein Gott, der Gehorsam und die Einhaltung der Gebote fordert verändert das zyklische Eingebundensein in eine kosmische Ordnung zu einem linearen Weg. Mit der Geburt Jesus schafft das Christentum einen Ausgangspunkt, der über ein religiöses Leben zur Erlösung führt. Die ursprüngliche Betrachtungsweise - das Leben als Kreislauf - wird von den Christen förmlich zu einer geraden Linie gebogen. Hierin ist der Beginn der linearen Zeitvorstellung zu sehen, die sehr bald zu einer genaueren Zeitmessung und damit zu unseren heutigen Uhren führt.
Was heißt Zeit?
Das Wort "Zeit" hat seine Wurzel im Indogermanischen "dai", was soviel wie Abschnitt, teilen, trennen bedeutet. Daraus entsteht das althochdeutsche Wort "zit" - Abgeteiltes. Der ursprüngliche Sinn des Wortes beschreibt schon, wie wir mit Zeit umgehen. Wir teilen sie ein in genaue und gleiche Abschnitte. Zeitbewusstsein Unser Zeitempfinden hat sich aus dem Wahrnehmen und Beobachten der Naturzyklen entwickelt: Tag und Nacht, die Jahreszeiten, die periodischen Bewegungen der Gestirne. "Man muss davon ausgehen, dass die Menschen ohne periodische Prozesse nie ein Zeitbewusstsein entwickelt hätten. So spiegelt unsere spezifische, sehr gut ausgebildete Zeitwahrnehmung die Bedingungen unserer nahen kosmischen Umgebung wider." (Brockhaus Band 24)
Was heißt Zeit?